Karl und Martin bei einem gemeinsamen Spaziergang.
Karl Thoma ist blind und erst kurze Zeit im bruggwald51 – Wohnen und Pflege im Alter. Er wird vom Freiwilligen Martin Marjakaj begleitet, der sich den Wunsch erfüllt, sich sozial zu engagieren. Seit dem ersten Kennenlernen der beiden, hat sich eine Beziehung entwickelt, die auf gegenseitigem Interesse aufbaut.
Karl, was war der Auslöser, dass Sie sich eine Begleitung gewünscht haben?
Hier im b51 muss ich mich immer melden, wenn ich nach draussen gehen möchte. Das war mit der Zeit der Grund, weshalb ich nicht mehr so oft raus ging. Dies gab mir das Gefühl, eingeschränkt zu sein.
Karl, was würden Sie denn tun, wenn Sie einfacher nach draussen gehen könnten?
Spazieren gehen. Den Handlaufweg mal ausprobieren. Auch allein. Sonst finde ich mich im Haus schon gut zurecht. Das musste ich – wie in jeder neuen Umgebung – Schritt um Schritt lernen. Zum Beispiel, wenn ich meine Frau besuche, die im ersten Stock wohnt. Damit ich mein Zimmer finde, haben wir die Türklinke mit Bast umwickelt. Das hilft ungemein. Deshalb wollte ich ja ins bruggwald51. Hier haben sie das Wissen und das Verständnis für die Bedürfnisse von sehbehinderten und blinden Menschen.
Wo haben Sie denn vorher gewohnt?
Ganz normal in einer Wohnung in einem Stadthaus. Aber dann konnte meine Frau die Hausarbeit in der Wohnung nicht mehr bewältigen. Als blinder Mensch in meinem Alter allein zu wohnen, ist schwierig und auch gefährlich. Hier im b51 kann ich für Hilfe läuten. Das beruhigt.
Gibt es etwas, was Sie nach ihrem Umzug ins bruggwald51 vermissen?
Ich wohne hier nicht mehr so privat, sondern in einer Gemeinschaft. Ein Nachteil sind die vielen Rollatoren, die herumstehen. Zudem sehen manche der Piloten auch nicht mehr so gut. Das kann dann schon mal zu kleineren Unfällen führen. Aber dies sind Veränderungen, auf die ich mich gerne eingelassen habe.
Toll finde ich, dass ich nicht mehr allein essen muss. Unter Menschen zu sein, schafft viel Abwechslung. Da kann ich zuhören, was so gesprochen wird, in der Gemeinschaft fühle ich mich gleich wohler.
Karl, darf ich Sie fragen, seit wann sind Sie blind?
Seit 37 Jahren. Ich bin mit grauem Star geboren und war stark sehbehindert. Mein Augenarzt hat sich dann gewagt, mich zu operieren. Das hatte ein wenig geholfen.
In der Grundschule ging es noch einigermassen. Ich musste einfach immer zur Tafel nach vorne gehen, um zu lesen. Doch als die Sekundarschule kam, wurde es schwierig. In den frühen 60er Jahren wurde ich einer der ersten IV-Empfänger, die es hier gab. So konnte ich am Institut Rosenberg eine dreijährige Handelsausbildung abschliessen. Danach habe ich an verschiedenen Orten gearbeitet. Zum Beispiel bei der Zürich Versicherung und der IV.
Karl, eine andere Frage. Neben Ihnen sitzt Martin. Wie haben Sie sich kennengelernt?
Über die Vermittlung von Vreni Eugster, der Leiterin des b51. Und das hat von Anfang an gut funktioniert. Er kommt ursprünglich aus Albanien. Ein Land, das mich schon lange interessierte. Besonders die dortige Volksmusik.
Martin, wie war es denn für Sie?
Ich wollte mich schon länger sozial engagieren. Und als ich Karl kennenlernte, war ich überrascht, wie gut er die Kultur meiner Heimat – den Kosovo – kennt. Da hat gleich vieles schon gepasst.
Martin, engagieren Sie sich schon länger im Freiwilligendienst?
Nein, ich stehe noch am Anfang. Ich mach das jetzt seit drei Monaten. Ich wusste auch nicht so recht, wie ich zu so einer Aufgabe komme. Einfach in ein Heim rein zu spazieren und zu fragen, ist nicht so meine Art.
Martin, du wohnst in St.Gallen. War es ein Zufall, dass du dich bei obvita gemeldet hast?
Ich habe den Zugang über die Freiwilligenplattform www.ubs-helpetica.ch gefunden. Da mir die aufgeführten Projekte sehr zusagten, meldete ich mich dort als freiwilliger Helfer an. Ich war überrascht, wie viele soziale Projekte dort eine Plattform bekommen. Nach einigen Recherchen bin ich dann auf obvita gekommen.
Dann ging es schnell. Die Leiterin des b51, Vreni Eugster, sprach mich wegen Karl an. Er sei blind und wolle gerne mehr nach draussen und spazieren gehen. Da habe ich zugesagt, auch wenn ich noch ein wenig unsicher war, da ich das bis anhin noch nicht gemacht hatte.
Karl Thoma:
Ich hatte dafür schon einige Erfahrung im Umgang mit Begleitpersonen. Im Jahr 1976 absolvierte ich einen zweimonatigen Kurs zu diesem Thema. Daher weiss ich, worauf es beim Begleiten ankommt.
Martin Marjakaj:
Beim ersten gemeinsamen Spaziergang glaubte ich noch, dass ich alles, was ich sehe, beschreiben müsste. Wir haben uns dann aber schnell gefunden. Ich gehe voran und er hält mich. So merkt er, wo es lang geht. Dann haben wir noch kleine Zeichen abgemacht. Schulterzucken heisst «Achtung», stehen bleiben «Treppe». So spielt sich das ein.
Martin, was möchtest du interessierten Menschen zur Freiwilligenarbeit weitergeben?
Für mich ist es einfach eine befriedigende Tätigkeit, die mich den Alltag ausblenden lässt. Ein Spaziergang zu zweit ist schöner und wenn ich Karl führe und mit ihm diskutiere, bin ich immer sehr aufmerksam und im Jetzt. Da geht die Zeit meistens wie im Flug vorbei. Mein Rat: Alles Neue bringt Veränderungen. Und Veränderungen lassen uns Neues lernen. Was gibt es Schöneres?
Karl und Martin, danke für das Gespräch.