Wie man mit einer seltenen Mutation der Zapfen-Stäbchen-Dystrophie trotzdem selbstbestimmt leben kann, zeigt Edina Bosnic auf eindrückliche Weise.
«Im Moment ist er noch ein Fremdkörper für mich, aber es geht nicht mehr ohne», sagt die 46-jährige Edina Bosnic. Gleich beginnt das Mobilitäts-Training mit Sabine Schmidt von obvita, in dem Edina lernt, mit dem Gehstock unterwegs zu sein. Aktuell sieht Edina noch 5-10%. Sie ist extrem lichtempfindlich, bei Tageslicht muss sie eine Sonnenbrille tragen, auch Innenräume, die hell erleuchtet sind, meidet sie. Es war vor etwa zehn Jahren, als Edina das erste Mal einen spürbaren Sehverlust wahrnimmt. Die Diagnose lässt nicht lange auf sich warten: Zapfen-Stäbchen-Dystrophie, allerdings in einer sehr seltenen Form. Bei ihr sterben die Zapfen/Stäbchen nicht wie üblich ab, sondern sie «löschen» einfach aus. An der Uniklinik Basel ist sie derzeit die einzige Patientin mit dieser Diagnose.
«Anfangs war die Krankheit sehr fremd für mich und als es hiess, es gebe dafür keine Therapie, war ich geschockt», erzählt Edina. Doch sie liess sich nicht entmutigen, begann trotzdem ein Studium in Sozialpädagogik, sorgte für ihre Kinder und einen «normalen» Alltag. 2017 verschlimmerte sich die Krankheit und schon ein Jahr später konnte sie nicht mehr Auto fahren, musste das Studium abbrechen und ihren Job im Kinderdörfli Lütisburg aufgeben.
«Es folgte eine anspruchsvolle Zeit, schliesslich war mir Selbständigkeit im Leben immer wichtig, gerade als alleinerziehende Mutter, und plötzlich war ich von Menschen abhängig», so Edina. Aber sie steckte den Kopf nicht in den Sand, suchte nach Lösungen, und so kam sie 2019 über die IV zu obvita.
«Hier bekam mein Leben eine neue Struktur und ich spürte das erste Mal wieder Halt, weil man meine Situation nachvollziehen konnte. Für mein Umfeld war das oft schwieriger», erinnert sie sich. Edina absolvierte ein 1-jähriges Praktikum in der Sehberatung bei obvita und lernte dabei selbst, den Alltag neu zu bestreiten. Sei es am Computer zu arbeiten mit Kantenfilter, Spracherkennung, Vergrösserung und speziellen Kontrasten. Oder auf dem Handy dank Apps mit Audio-Funktionen. «obvita gibt mir Sicherheit und ist da, wenn ich Hilfe brauche, sei es auf der technischen Ebene, in der Mobilität oder generell für den Alltag». Seit geraumer Zeit studiert sie Soziale Arbeit und gerade schreibt sie ihre Bachelor-Arbeit. Nach dem Abschluss hofft sie, in der Beratung tätig sein zu können. Die IV-Abklärungen sind bereits abgeschlossen – einem 40 bis 50 %-Pensum steht nichts mehr im Wege.
Auf die Frage, was sie sich für die Zukunft wünscht, antwortet sie ohne Umschweife: «Ich will meine Autonomie zurück, alleine von A nach B unterwegs sein können und mit Jugendlichen arbeiten.» Dann wäre da noch ein Wunsch: eine Augenlid-Operation. Drückt nämlich das Augenlid nach unten, ist das Sichtfeld noch mehr eingeschränkt. Da Edina ohnehin nur in der Peripherie etwas erkennen kann, wäre die OP sehr wertvoll. Zum jetzigen Zeitpunkt übernimmt die Krankenkasse die Kosten jedoch nicht. Aber Edina wird auch in dieser Angelegenheit dranbleiben, denn sie hat mit ihrem positiven Spirit schon mehrfach bewiesen, dass man trotz Beeinträchtigung vieles erreichen kann. Dieser Kampfgeist kommt wohl nicht von ungefähr, denn Edina flüchtete 1992 mit ihrer Mutter und ihren zwei Schwestern in die Schweiz, da in Bosnien Krieg herrschte. Ihr Vater blieb im Heimatland. Sie lernte schon früh, vermeintlich unüberbrückbare Hindernisse aus dem Weg zu räumen. «Aufgeben war für mich nie eine Option, denn auch aus doofen Situationen lässt sich was machen», sagts und öffnet Sabine Schmidt die Tür – bereit, um mit dem Gehstock die Treppe ihres Wohnhauses runterzusteigen.